Vom „Nowhere“ zum „Now here“
„Sei im Hier und Jetzt. Bleibe zentriert und lasse alles andere an dir vorüberziehen.“, pflegte schon vor Jahren meine Yogalehrerin zu sagen. Nun bin ich selbst Yogalehrer und sage eben dieses Mantra zu meinen Schülern und Klienten. Einfacher gesagt als getan. Was bedeutet das eigentlich immer mit dem Hier, Jetzt, Gewahr sein, Gedanken nicht verfolgen?
Und täglich grüßt das Murmeltier
Morgens, wenn man aufwacht, ist es einen kurzen Moment still. Diese herrliche Ruhe, wenn der Geist vom Träumeland langsam wieder auf dem Planeten ankommt und man sich von dem Geplärr des Weckers noch einen kurzen Moment in die Laken kuschelt.
Doch leider ist dieser Moment schnell vorbei. Schon auf dem Weg ins Bad machen die Gedanken ein paar Aufwärmübungen und legen spätestens beim Zähneputzen richtig los.
„An was muss ich heute alles denken? Habe ich überhaupt noch Kaffee im Haus? Ach, ich muss ja sowieso einkaufen. Oh man es ist ja Freitag – da ist der Supermarkt wieder so voll. Warum machen die eigentlich nie alle Kassen auf wenn soviel los ist? Denen ist egal wie lange wir warten, Hauptsache die Kasse stimmt! Vielleicht ist wieder die nette Bedienung an der Käsetheke da. Ach die Käseplatte beim letzten Restaurantbesuch war vielleicht lecker. Das schönste Essen war ja mit meiner Freundin vorletztes Jahr in der italienischen Taverne direkt am Hafen. Ich vermisse sie. Warum denke ich schon wieder an sie – es ist doch so lange her? Hatte ich heute nicht den wichtigen Kundentermin? Usw, usw“ Und noch bevor man aus der Dusche kommt und zum Handtuch greift, ist die Laune am Boden und ist genervt. Und zack, ist man in einer „Negativschleife“. Unser Verstand nimmt verstärkt negative Impulse wahr – die verschüttete Milch, der Fleck auf dem Hemd, die lauten Nachbarn, etc. – und stellt diese in den Vordergrund.
Klar, es muss nicht immer so sein – das funktioniert auch mit positiven Gedanken. Plötzlich ist der Fleck auf dem Hemd nicht mehr so schlimm – Du wolltest eh lieber ein anderes anziehen. Und die lauten Nachbarn? Hej, da ist ja richtig Stimmung bei denen, usw.
Dennoch ist der Geist im „nowhere“ – überall und nirgends – nur nicht im Hier und Jetzt. Jeder Mensch hat durchschnittlich 60.000 (!) Gedanken – täglich! Davon sind 5.000 Gedanken „neu“. Man kaut also stündlich ca. 3.000 Gedanken immer wieder von Neuem durch (sofern man 7 Stunden schläft). Meist ohne Ergebnis oder neuer Erkenntnis.
Betrachten der eigenen Gedanken
Irgendwann habe ich begonnen meine Gedanken bewusst zu beobachten. Es ist wirklich abgefahren was ich da alles zu sehen bekommen habe. Spannend ist, dass der Geist es nicht leiden kann beobachtet zu werden. Beleidigt zieht er sich zurück um dann, zu gegebener Zeit und in einem unbeachteten Moment einen neuen Angriff zu starten. Häufig mit Erfolg.
Kleine Frage, große Wirkung
Das wirksamste Mittel ist vom „nowhere“ zum „Now here“ (Jetzt und Hier) zu gelangen. Leichter gesagt als getan, denkst Du Dir vielleicht. Aber wer dachte eben diesen Gedanken? Du! Und wer bist „Du“?
Ramana Maharshi hat dazu ein kleines Buch verfasst und mit diesem spirituellen „Frage / Antwortspiel“ eine Lehre zur Selbstergründung entwickelt.
Anfangs dachte ich „So einfach kann das nicht sein!“. Doch als ich es einfach mal probiert habe, kam erstaunliches dabei raus. Nicht nur, dass ich diese Fragen gefühlt 10.000x denken musste – es wurde ruhiger in meinem Kopf. Das Ego wirkte schon fast beleidigt, denn jeder destruktive Gedanke wird sofort im Keim erstickt. Ich stelle immer wieder fest, dass so viele Gedanken nur ein Kartenhaus aus Erinnerungen, Erfahrungen und Schlussfolgerungen ist, das bei näherer Betrachtung in sich zusammenfällt.
Alle neuen Gedanken und Erlebnisse werden durch diesen fragilen Filter unserer Erfahrungen gejagt und ständig verglichen und entsprechend bewertet. Und meist auch noch ernst genommen.
Und was bringen diese Gedanken?
Was geschehen ist, ist geschehen. Ich kann durch Denken die Vergangenheit nicht verändern. Außer sie vielleicht schön oder schlecht zu denken. Aber sie ändern sich trotzdem nicht, egal wie sehr ich es mir auch wünsche, verzweifle oder wehklage.
Und die Gedanken über die Zukunft? Mal ehrlich – wieviel Deiner Zukunftspläne bzw. Gedanken von vor 10 oder 20 Jahren sind genau so eingetreten – egal ob Träume oder Befürchtungen?
In meinen „NOW HERE“ Meditationen komme ich zur Ruhe. Hier und jetzt. Ich kann denken was ich will, es ändert sich nichts. Auch wenn es nur für die Dauer einer Meditation anhalten sollte, so ist das zumindest ein kleiner Zeitraum von Freiheit, der sich groß anfühlt.
Durch immer häufigeres Gewahr sein im Jetzt, bekommst Du im Geist die Kapazitäten, Dich für Neues zu öffnen und unvoreingenommen an die Dinge heranzugehen, die Dich erwarten.
Ehrlicherweise mochte ich lange diese Erkenntnis nicht sonderlich, entbindet sie mich doch jedweder Kontrolle über mein Leben, denken und Sein.