Yoga für Frieden, Strategien gegen die Angst
Ich stehe morgens auf und schaue inzwischen schon gar nicht mehr in die Zeitung. Schon vor der Pandemie waren ja die Nachrichten ein Garant dafür, nach dem morgendlichen Yoga gleich wieder aus der inneren Mitte gezogen zu werden. Mit Beginn der Pandemie nahmen die Schreckensmeldungen täglich zu, gepaart mit einer Prise Verunsicherung, was man nun wie zu tun oder zu lassen hat. Und dann kam ein Krieg von dem wir unmittelbar betroffen sind.
Von allen Seiten werden wir zusätzlich beschallt mit „Tu dies, sonst wirst Du bestimmt nicht alt.“ „Mach unbedingt das, damit Du immer abgesichert bist!“ „Und lass bloss das sein, sonst geschieht Dir etwas schlimmes!“ Und es scheint auch zu funktionieren. Die Versicherungsbranche zum Beispiel boomt und man kann inzwischen so ziemlich alles versichern um seine Ängste oder Befürchtungen zu besänftigen.
Angst von aussen trifft auf innere Ängste
Dabei haben wir doch auch ohne den Einfluss von Außen schon genug mit unseren inneren Ängsten zu kämpfen. Wir haben zum Beispiel Angst, dass wir krank werden könnten, vor dem Tod (auch wenn dieser ohnehin unvermeidbar ist), dass sich negative oder sogar traumatische Erfahrungen unseres Lebens wiederholen. Oder schlicht, dass es uns an etwas mangeln könnte. Gerade das zeigt sich jüngst in den Supermarktregalen. Schon alleine der Gedanke an Mangel läßt viele Menschen in die Supermärkte strömen. Sie kaufen in Mengen Dinge ein, von denen sie befürchten, dass es sie bald nicht mehr geben könnte. Ungeachtet der Tatsache, dass sie wahrscheinlich Lebensmittel vor dem Verfallsdatum gar nicht aufbrauchen können und vielen anderen Menschen die Möglichkeit verwehren, ihren „normalen“ täglichen Bedarf zu decken. Es ist, als ob sich bei vielen Menschen ein Hebel umlegt und wie fremdgesteuert Dinge tun, die fernab jedweden gesunden Menschenverstandes liegen. Es ist die Angst, fast schon Panik, vor einschneidenden Veränderungen der Komfortzone, dem gewohnten Leben, zu erleiden.
Im Frieden mit dem Wandel
„Alles ist stetigem Wandel unterzogen.“ ist ein buddhistischer Leitspruch, der bereits vor über 2.500 Jahren geprägt wurde. Leider haben viele dies bis heute nicht verinnerlichen können. Dieser Satz ist unbequem, verdeutlich es uns doch, dass sich das Leben außerhalb unserer Kontrolle abspielt. Und das mögen wir nicht. Nicht im Supermarktregal, nicht zu Hause und auch nicht im Rest unseres Lebens. Das schafft Angst und wird reaktiv mit Flucht oder Aggression quittiert.
Wenn Angst die Kontrolle übernimmt
Ich arbeite in meiner Praxis häufig mit Klienten, die von Ihrer Angst regelrecht aufgefressen werden. Sie haben ohnehin „Ihr Päckchen“ zu tragen und die steten Tropfen der Außenwelt bringen das Fass sprichwörtlich zum Überlaufen: Der Geist ist starr vor Angst und funktioniert nur noch im „Notbetrieb“ um den Alltag zu bewältigen. Der Körper reagiert mit Verkrampfung, ist starr, steif, die Atmung flach und schnell. Durch den schleichenden Prozess merken sie gar nicht, dass sie sich in eine so, im wahrsten Sinne, furchtbare Situation gebracht haben. Sie bemerken, dass etwas nicht in Ordnung ist, aber die Ursache Ihrer Angst sehen sie meist nicht und kämpfen lediglich gegen die Symptome. Eine Klientin sagte einmal zu mir, dass es sich anfühle als ob sie auf einem großen Ozean schwimmen würde und krampfhaft die Nase über Wasser hält um atmen zu können. Doch diese stete Anstrengung wird mit der Zeit zunehmend schwerer. Sie höre ihr Herz und Seele nicht mehr und versucht einfach nur zu überleben.
Aus der Angst mit und durch Yoga
Doch was kann ich als aussenstehender tun um ihr zu helfen? Ratschläge sind für einen kurzen Moment hilfreich, aber nicht sehr nachhaltig. Sie kommen auch nur vom Außen und gewinnen keine wirkliche Verinnerlichung.
Ich gehe also mit ihr auf eine Kundalini Yoga Reise. Wir stimmen uns ein, brechen damit das erste Eis und finden den Weg in die Ruhe. Wir praktizieren eine sanft stimulierende Kriya und geben dem Körper die Chance die Verkrampfungen zu lösen. Das gezielte Atemtraining während der Asanas stärkt den Parasympathikus. Der Geist reagiert unmittelbar – die Gedankenwellen flachen langsam ab. In der darauffolgenden Tiefenentspannung lade ich sie zu einer Reise ein. Gebe ihr sanfte Impulse sich auf den Weg in die innere Stille zu begeben. Das kann ein Ort oder eine Situation sein. Den eigentlichen Weg bestimmt sie dann selbst und kann sich dieser, Ihrer, Welt vollends hingeben. Nun sind Geist und Seele bereit für die abschließende „Aakhan Jor“ Meditation. Schon vor dem Ausklang sehe ich bei wieder ein aufrichtiges und herzliches Lächeln. Ein wundervolles Gefühl.
Heilung ist ein langer Weg
Heilung geht nicht von heut auf morgen. Es ist ein Prozess der bei jedem:r individuell länger oder kürzer dauert. Ein lohnenswerter Weg. Denn innere Angst lässt sich nicht im Außen durch Flucht oder Aggression besiegen. Es ist die innere Ausgeglichenheit, die durch Akzeptanz und Mitgefühl uns zur Ruhe kommen und Frieden in die Welt tragen lässt. Durch Yoga lernen wir jeden Tag dies zu erkennen und zu verinnerlichen. Wer sich von den Fesseln innerer Angst befreien kann, der wird es dann auch leben – mit offenem Mitgefühl für sich und Andere.